Martina Köster-Schneider

Meine Kindheit im Pfarrhaus Billebrinkhöhe und drum herum von 1962 bis 1972

1962, ich war fast drei Jahre alt, zogen wir von Bremerhaven-Wulsdorf in das frisch erbaute Pfarrhaus in Essen-Bergerhausen auf der Billebrinkhöhe. Wir, das waren mein Vater, der Pfarrer Reinhard Köster, meine Mutter Eva, meine Schwestern Hella und Anne und ich, Martina.

Groß, hell und weiß, auch ein bisschen kalt  sind meine ersten, blassen Erinnerungen an das Haus. Aber da gab es  Platz zum Spielen und Nachbarskinder zu fast allen Seiten. Ich war ein „Draußen-Kind“.

Neben uns stand noch keine Kirche, nur freies Feld. Als ich begann meine ersten größeren Kreise zu ziehen, muss der Bau des Gemeindehauses begonnen haben.

In einem Bauwagen um die Ecke auf dem Lönsberg muss der Bauleiter oder Architekt gehaust haben und für uns Kinder irgendetwas Leckeres gehabt haben.

Und irgendwann wurde der Kirchturm erbaut. Als wir 1972 wegzogen, hat er für mich schon immer da gestanden.

Das Leben im Pfarrhaus war für mich stark durch meine Mutter geprägt. Da ist der Sessel im Flur neben dem großen Schrank (- heute steht er in meinem Wohnzimmer), hier saßen die Stadt- und Landstreicher und löffelten das aufgewärmte Mittagessen oder warteten auf eine Stulle. Hier wurden Menschen umarmt und getröstet, hier baumelte Weihnachten der Herrenhuter Stern herunter.

Meine Mutter leitete den Chor. Manchmal saßen wir dabei und kicherten über die Einsingübungen „juhunge, juhunge....“

Mein Vater war ein streitbarer und starker Mann, das spürte ich als Kind.

Aktiv und experimentierfreudig sah ich ihn, ob es um die Brot-für-die-Welt-Abende ging oder die Gestaltung des Schaukastens. „Wir sind hungrig, ihr seid satt“ sangen wir zu irgendeinem Anlass als Kinder in der Kirche. Gerechtigkeit, ein Thema, das ich aus dem Pfarrhaus mitgenommen habe.

Auch für mich rannte mein Vater einmal hinter einem älteren Jungen her, der mir etwas weggenommen hatte.

Geschichten erzählen konnte mein Vater, in denen die Träume von einer guten, heilen  Welt für mich verborgen waren. Manche hat er für die Familiengottesdienste erfunden. Ja, in der Kirche haben wir oft gesessen, bis wir zum Kindergottesdienst vor der Predigt hinausgingen.

Mit den bunten Kirchenfenstern habe ich mich manche Stunde beschäftigt, während meinVater vorne stand und meine Mutter mal wieder so laut sang. Nach dem Gottesdienst spielte er erst mal eine Patience.

Billebrinkhöhe, das ist der Ort, wo ich Kind war, wo ich eine katholische Freundin Susi hatte und eingeschult wurde, wo Verwandte bei uns nächtigten und ich Stelzenlaufen lernte, wo es eine Lotti Kraushaar und eine Ingeborg Schlottmann gab. Hier war meine Mutter lebendig und mein Bruder Johannes wurde geboren. Hier starb meine Mutter.

Die Gemeinde an der Billebrinkhöhe hat mir in dieser Zeit viel Geborgenheit gegeben. Und dies ist sicher ein Grund dafür, dass ich selber Theologie studiert habe und Pfarrerin geworden bin. Als wir 1972 wegzogen, waren wir eine andere Familie geworden, mein Vater hatte wieder geheiratet und mein Bruder Helmut war geboren. Mit meiner Konfirmation 1973 bei Pfarrer Göpelt ging für mich die Zeit an der Billebrinkhöhe endgültig zu Ende. Zur Trauerfeier meines Vaters bin ich 2002 nach vielen Jahren mal wieder in der Kirche meiner Kindheit gewesen. Heute lebe ich mit meinem Mann und meinen drei Töchtern in Solingen. Wer weiß, was sie mal über ihre Kindheit im Pfarrhaus erzählen werden.

Martina Köster-Schneider im März 2005